14.09.2021 | Wie wir mit direkter Demokratie die Energie- und Verkehrswende in unsere Städte bringen
Als Kasseler Aktive im Sommer 2019 ankündigten, dass sie ein Bürgerbegehren gegen das städtische Braunkohlekraftwerk vorbereiten, kam prompt eine Pressemitteilung der Stadtwerke. Man wolle das klimaschädliche Kraftwerk jetzt schon 2028 statt 2030 abschalten. Doch das war den Kasseler Klimaschützer*innen nicht genug – sie begannen mit der Unterschriftensammlung. Einige Monate später schlugen sie mit dem Aufsichtsrat der Stadtwerke ein: 2025 beginnt die Umstellung von Braunkohle auf Klärschlamm.
In Darmstadt hatten einige junge Menschen von Fridays for Future genug vom Demonstrieren. Sie wollten dafür sorgen, dass ihre Stadt klimaneutral wird. Mit direkter Demokratie haben sie nicht nur ein Bekenntnis der Stadtregierung zur Klimaneutralität 2035 erreicht. Wer künftig ein Grundstück von der Stadt Darmstadt erhalten möchte, darf nur noch energieeffizient darauf bauen. Die städtische Wohnungsgesellschaft saniert ab sofort hunderte Gebäude, für private Sanierungen gibt es ein Förderprogramm. Auf die Dächer aller städtischen Gebäude kommen innerhalb von drei Jahren Solaranlagen, auf der restlichen Dachfläche und auf den Fassaden wächst dann eine Begrünung. Der öffentliche Nahverkehr wird um jährlich mindestens sechs Prozent ausgebaut, Autoparkplätze in Radabstellanlagen und Grünflächen umgewandelt. Parken wird teurer. Außerdem hat die Stadt kurzfristig 15 Millionen Euro für Klimaschutzmaßnahmen zur Verfügung gestellt.
Die RheinEnergie ist einer der großen Player unter den Stadtwerken. Sie versorgt 2,5 Millionen Menschen in der Region um Köln und hat weit über die Stadtgrenzen hinaus investiert, beispielsweise in ein Rostocker Kohlekraftwerk. Doch jetzt ist sie unter Druck geraten. Eine Kölner Bürgerinitiative hat ausreichend Unterschriften gesammelt, um alle Kölner Bürger*innen in einem Bürgerentscheid abstimmen zu lassen, ob die RheinEnergie künftig nur noch Ökostrom vertreiben darf. Das würde das Aus für deren Kohle- und Gaskraftwerke bedeuten. Natürlich ist man in der Vorstandsetage nervös. Und nimmt die Sache ernst. Unter Moderation des Wuppertal Instituts gab es wochenlange Verhandlungen zwischen der Bürgerinitiative und der Chefetage des Energiekonzerns. In den nächsten Wochen wird sich zeigen, ob es eine Verhandlungslösung gibt oder die Kölner:innen abstimmen.
Die Beispiele dieser mutigen Bürger:innen illustrieren, wieviel Macht uns die Instrumente der direkten Demokratie geben. Wir können Kohlekraftwerke abschalten, die Geschäftspolitik großer Energiekonzerne verändern oder für den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs sorgen. Dafür müssen wir nicht darauf warten, dass die Bundesregierung oder die Kommunalpolitiker*innen unserer Städte und Gemeinden ihren Worten endlich Taten folgen lassen. Wir können die politische Entscheidung selbst herbeiführen und die Politik muss sie umsetzen.
In dem Handbuch „Klimawende von unten“ stellen das Umweltinstitut, Mehr Demokratie und BürgerBegehren Klimaschutz Erfolgsbeispiele vor und liefern einfache Anleitungen, mit denen schon eine Handvoll engagierter Personen ein Klima-Bürgerbegehren starten kann. Die Broschüre enthält rechtlich geprüfte Abstimmungsfragen, mit denen Initiativen ohne großen Aufwand loslegen können, und wertvolle Kampagnentipps aus der Praxis. Zu dem Handbuch gibt es auch eine Website. Dort finden Aktive ein „Starter-Kit“ – ein Video-Tutorial, das die ersten Schritte zum Klima-Bürgerbegehren erklärt. Außerdem gibt es eine interaktive Deutschlandkarte, auf der alle Bürgerbegehren für die Energie- und Verkehrswende mit einer eigenen Projektseite präsentiert werden. Interessierte können die Initiativen dort kontaktieren oder sich über ihre Ziele informieren. Die Naturfreunde gehören zum Unterstützerkreis der Kampagne „Klimawende von unten“.
Zur Philosophie der Kampagne gehört es, dass mit jedem Klima-Bürgerbegehren nicht nur Studien und Pläne in Auftrag gegeben, sondern ganz konkrete Klimaschutzmaßnahmen erreicht werden, die direkt messbar Emissionen reduzieren. So bringt die Abschaltung des Kohlekraftwerks in Kassel in vier Jahren 750.000 Tonnen CO2-Einsparung.
Neben der Abschaltung fossiler Kraftwerke gibt es Modell-Bürgerbegehren zu folgenden Themen:
- Stadtwerke zu Ökostromversorgern machen
- Die Fernwärme auf erneuerbare Energien umstellen
- Die Dächer der Stadt zu Sonnenkraftwerken machen
- Vorfahrt für Fahrräder erkämpfen
- 365-Euro-Ticket für den öffentlichen Nahverkehr
- Den öffentlichen Nahverkehr ausbauen
Die Kampagne bietet noch mehr als nur das Handbuch und die Website für die ersten Informationen. Ein Team aus Mitarbeiter*innen des Umweltinstituts, von BürgerBegehren Klimaschutz und Mehr Demokratie berät Aktive, die eine Idee haben, was sie in ihrer Stadt oder Gemeinde bewegen wollen. Am Beginn steht meist eine strategische Beratung: Welches Klima-Bürgerbegehren macht in der eigenen Stadt Sinn? Welche Fragen müssen recherchiert werden? Wie bereiten wir uns auf Gegenargumente vor? Wie gewinnen wir neue Mitstreiter*innen?
Bei all diesen Schritten hilft es, dass ein Großteil der Arbeit schon von anderen Bürgerinitiativen gemacht wurde. So müssen die Abstimmungsfragen für das Bürgerbegehren nur leicht angepasst werden, die Website kann sich an der anderer Initiativen orientieren, es gibt schon einen Plan für den Gang an die Öffentlichkeit und für Aktionen. In der Klimawende-Cloud sind viele dieser Informationen und Dokumente wie Rechtsgutachten oder Pressemitteilungen gesammelt. Neben der Beratung ist auch der Austausch mit anderen Klimawende-Aktiven wichtig. Dafür gibt es Emaillisten und Chatgruppen, außerdem vermittelt das Klimawende von unten-Team oft einen direkten Kontakt zu Initiativen mit ähnlicher Ausrichtung.
Hast du Lust bekommen, Teil der Klimawende-Bewegung zu werden? Dann kontaktiere das Team der Klimawende von unten über die Mailadresse info@klimawende.org.