16.07.2023 | Der Spreepfad zwischen dem Charlottenburger Schlosspark und Spandau ist ein ganz besonderer Uferweg: urwüchsig und schmal, ein bisschen rau und wild, kontrastreich zwischen Naturwald und Industrie, Lauben-Idylle und ICE-Strecke. Gegenüber mal die imposanten Backsteinhallen der Siemensstadt, mal der Urwald am alten Wasserwerk Jungfernheide. Mal rauscht hoch oben die Stadtautobahn, öfter quaken unten die Enten.
Der Spreepfad ist ein Geheimtipp: Viele Berliner waren noch nie an diesem Ufer unterwegs. Aber vom Spreepfad haben alle etwas: Spaziergänger, die das Andere suche. Kleingärtner, die sich auch vor der Gartentür erholen. Jogger, die Auslauf auf weichen Böden suchen. Und entspannte Radfahrer, denen keine Asphaltpiste ein solches Erlebnis bieten kann.
Hier ist nicht die Landschaft an uns angepasst, sondern wir passen uns der Landschaft an, und das tut gut und belebt unsere Sinne. Ob zu Fuß oder per Rad – alle werden hier langsam, aufmerksam, offen für den Ort statt fixiert auf ein Ziel. Weil der Spreepfad stellenweise so schmal ist, eilt man nicht aneinander vorbei, sondern nimmt sich wahr, arrangiert sich, gönnt sich gegenseitig den Weg und kommt mitunter auch ins Gespräch.
Unter dem Namen „Rad- und Wanderweg Spreeufer“ verfolgt der Senat ein Projekt, durch das der Spreepfad seinen einzigartigen Charme verlieren würde: einen bis zu drei Meter breiten, befestigten Weg. Grün müsste weichen, Boden verhärtet werden. Statt urwüchsiger Atmosphäre in lebendiger Abfolge von Sand, Holzbohlen und Wiese droht ein steriler Allerweltsweg, von einem städtischen Radweg nicht zu unterscheiden. An den Seiten weniger freies Grün und mehr kurzer Rasen, möblierte Landschaft, eine langweilige Zweckwelt statt einer frei gewachsenen, poetischen Grünwelt. Allerweltswege gibt es mehr als genug: asphaltiert, schnell befahren und mit kahlen Rändern.
Auf einem solchen Weg würde schnell gefahren und eher marschiert als spaziert werden. Das Nachsehen hätten alle, die hier verträumt gehen, laufen oder radeln: Kinder, Ältere, Menschen mit Behinderungen, sowie alle Erholungsuchenden. Die Verfechter des Plans reden von angeblichen Gefahren durch Wurzeln, Löcher, weichen Sand. Umgekehrt wird ein Schuh draus: Wer hier langsam ist, ist auch sicher. Eine „Tempo-Fahrbahn“ würde die Gefahren erst schaffen.
Roland Stimpel