24.08.2017 | Im Jahr 1931 erschien in der „Wiener Sozialdemokratischen Bücherei“ eine Broschüre von Julius Deutsch, die der zweiten internationalen Arbeiter-Sport-Olympiade in Wien gewidmet war. Sie erschien in einer Auflage von 420.000 Exemplaren. Deutsch setzte sich in der Broschüre mit der Frage des Unterschieds zwischen proletarischen Massensport und kapitalistischen Spitzensport auseinander:
„Soweit Arbeiterjungen und Arbeitermädchen selber Sport ausübten, geschah dies in Vereinen, die von Bürgerlichen beherrscht wurden. Ohne es wahr zu haben, sogen sie dort die Vorstellungen und Gedankengänge der besitzenden Klassen in sich ein. Sie merkten nicht, daß es in diesen sogenannten ‚neutralen‘ Sportvereinen keineswegs so neutral zuging, als es nach außen hin schien.
Freilich sprach man dort wenig von Politik. Man hütete sich, die jungen Proletarier direkt vor dem Kopf zu stoßen. Aber das ganze Milieu dieses Vereinslebens war danach angetan, den Arbeiter seiner Klasse zu entfremden. Er wurde mit lauter Dingen beschäftigt, die weitab von seinen wirtschaftlichen Interessen lagen. Allmählich erfaßte ihn das leere gesellschaftliche Treiben des Bürgertums. Er verlor das Gefühl dafür, daß er eigentlich niemals für voll genommen wurde, ja daß er nur ein geduldeter Zaungast war.
Im Laufe der Jahre wurde das gesunde proletarische Mißtrauen des Arbeiters eingeschläfert, bis er schließlich von den Bestrebungen seiner Klassengenossen überhaupt nichts mehr wissen wollte und eingelullt und zufrieden im ‚neutralen‘ Sportgetriebe herumplätscherte. {...] Im Umkreis des bürgerlichen Sports mit seinem Rekordwahn und der geschäftlichen Ausbeutung desselben wachsen notwendigerweise Sensationsgier und Reklame, niedrige Leidenschaften und windige Hochstapeleien. Man sehe sich nur einmal die großen, repräsentativen Veranstaltungen des bürgerlichen Sports an, um diese Kennzeichnung gerechtfertigt zu sehen. Da werden Wochen vorher die Reklametrommeln gerührt, bis zehntausende Menschen am Tage des Ereignisses zusammenkommen. Die sehen dann voll fieberhafter und mit allem Raffinement künstlich aufgestachelter Leidenschaft zu, wie einige Rekordjäger sich um einen hohen Preis raufen.
[...]Denn das ist das Wesen des Arbeitersports, daß er von Haus aus eine ganz andere Richtung nehmen mußte als der Sport der besitzenden Klassen. Ist dieser individualistisch, so jener kollektivistisch. Drängt der bürgerliche Sport zur Einzelleistung, zur Rekordsucht, entwickelt sich der Arbeitersport zur Massenleistung, zum Solidarismus. [...] Der Arbeitersport ist mit dem Werden einer neuen Kultur in der Arbeiterklasse auf das engst verknüpft.“
Aus: Julius Deutsch, Unter roten Fahnen! – Vom Rekord- zum Massensport, Wiener Sozialdemokratische Bücherei, Wien 1931, 24 Seiten.