05.02.2022 | Die Kletterhalle eröffnetem nach monatelangem Covid-Lockdown im März endlich wieder ihre Außenanlagen. Weder langes Vorbuchen der begehrten Slots noch wenige Grade über 0 sollten meinen Mann, Johannes, und mich davon abhalten, uns endlich wieder die Finger an Plastikgriffen langziehen zu können, aber eventuell ein positives Testergebnis der erfreulichen Art? Ich war in der 6. Woche schwanger, und damit ergaben sich plötzlich viele Fragen. Kann ich weiter klettern, wie lange noch und ferner in die Zukunft geblickt, wie wird das gemeinsame Klettern möglich sein, wenn unser Kind auf der Welt ist?
Das Klettern ist bis jetzt ein großer Teil unseres gemeinsamen Lebens als Paar, ich haben meinen Mann als Klettertrainer bei den NF in Berlin kennengelernt, mehrfach wöchentlich verbringen wir unsere Freizeit in einer der Kletterhallen, sind möglichst viele WE am Fels und auch unsere Urlaube gingen meist in Klettergebiete in ganz Europa.
Ich hatte Glück, mir ging es von Beginn der Schwangerschaft sehr gut, die typische Übelkeit in den ersten 3 Monaten blieb mir komplett erspart. Ich fühlte mich fit und machte in meinem Alltag erstmal alles weiter wie bisher. Ich erledigte wie immer alle Wege in der Stadt mit dem Rad und kletterte ohne Einschränkungen im Vorstieg. Von unseren Freunden ahnte da noch niemand etwas.
Mit langsam sich wölbendem Bauch ab Anfang des 4. Monats wechselte ich meinen Gurt auf eine besser anzupassende Variante mit 2 Schnallen am Hüftgurt und relativ tiefem Sitz (z.B. Petzl Corax, Elliot Elvis), ich stieg weiterhin vor aber nicht mehr am Leistungslimit, einen weiten Vorstiegssturz und vor allem einen Anprall des Bauches wollte ich definitv vermeiden, mein Kletterlimit an sich war noch unverändert, Kraft und Beweglichkeit bisher nicht eingeschränkt.
Da ich in der Regel nicht bouldern gehe, stelle sich diese Frage für mich nicht, aufgrund des höheren Sturzrisikos mit entsprechender Verletzungsgefahr hätte ich Bouldern allerdings in der Schwangerschaft zugunsten des Seilkletterns eher aufgegeben.
Den kletternden Freundeskreis weihten wir erst relativ spät, im 5. Monat, bzgl. meiner Schwangerschaft ein, der Bauch war nun nicht mehr zu übersehen, und ich kletterte viele Routen im Nachstieg, die ich normalerweise problemlos vorgestiegen wäre. Wir waren weiterhin regelmäßig 2 teilweise 3x/Woche im der Kletterhalle.
Die hormonell bedingten Veränderungen, wie weicher werdende Becken- und Bauchmuskulatur, und Auseinanderschieben der graden Bauchmuskeln zur Seite, um dem größer werdenden Baby Platz zu schaffen, zwangen mich nach und nach meinen Kletterstil und die Routenauswahl anzupassen. Ich vermied dynamische Züge, kletterte wegen der fehlenden Rumpfstabilität, und weil spätestens ab der 20. Schwangerschaftswoche die grade Bauchmuskulatur nicht mehr belastet werden sollte, nicht mehr im Überhang. Irgendwann war der wachsende Bauch bei hohem Antreten frontal im Weg, mit guter Hüftbeweglichkeit war dies aber über die Seite weiterhin möglich. Ich musste das Klettern an einen sich ständig veränderten Körperschwerpunkt anpassen, kam durch den Bauch nicht mehr so nahe an die Wand, konzentrierte meinen Focus mehr auf die Füße, suchte kleine Zwischentritte um weniger aus den Armen arbeiten zu müssen. In der Tat war dies ein gutes Training, um neue Techniken zu erlernen und anzuwenden.
Ich freute mich, dass sich im Frühjahr und Sommer noch ein paar tolle Klettertage in Franken und in den Steinbrüchen bei Halle/Leipzig ergaben. Ich hatte Spaß und die Bewegung tat mir gut, Vorstieg machte ich allerdings nur noch in meiner absoluten Komfortzone, teils mit bereits eingehängten oder verlängerten Exen bei langen Abständen.
Für den Sommer hatten wir schon weit im Voraus 2 Wochen Kletterurlaub in Tirol geplant, ich hoffte sehr, diese letzten Kletterreise zu zweit noch wie geplant genießen zu können. In Vorbereitung hatte ich mir schon einen Brustgurt besorgt, der kam jedoch im Urlaub, inzwischen 26./27. Schwangerschaftswoche, noch nicht zum Einsatz. Die Auswahl der Felsen wurde durch meine Schwangerschaft etwas limitiert. Es galt, weite und steile Zustiege zu vermeiden, langes Laufen, vor allem bergauf, fiel mir tatsächlich inzwischen schwerer als das Klettern selbst, aufgrund von immer mehr Gewicht was an Bauch und Rücken zog. Auch Ausdauer/Kondition wurden langsam weniger, durch abnehmendes Lungenvolumen, da sich Kind und Bauchorgange nach oben Richtung Zwerchfell schieben und den Platz beanspruchen. Ich trug nur noch einen kleinen Rucksack mit persönlichen Sachen an den Fels, Mein Mann schleppte tapfer das gemeinsamen Kletterequipment zu den Routen.
Ein ziemlich ausgeglichenes Gewichtsverhältnis ermöglichte es mir, Johannes weiterhin problemlos im Vorstieg zu sichern und auch Stürze ohne Gefahr für mich abzufangen, so dass er mir im Urlaub alle Routen zum Nachsteigen einhängen konnte und auch selber beim Projektieren auf seine Kosten kam. Ich hätte allerdings niemand mehr im Vorstieg gesichert, der mehr als 5 kg schwerer ist als ich.
Ehrgeiz und Leistungsanspruch hatte ich inzwischen fallen gelassen, ich genoss einfach die Zeit mit Freunden und meinem Mann am Fels und in der Kletterhalle, außerdem mich weiterhin durch regelmäßige Bewegung fit halten zu können. Als sich der Hüftgurt sich ab ca. der 32. Woche alleine zu unbequem und unsicher anfühlte, nutzte ich zusätzlich einen Brustgurt. Mit dieser Ausstattung konnte ich letztendlich bis zur 38. Woche weiterklettern. Die kompetente Beratung im Klettershop hatte mich zur Entscheidung bewogen, den Brustgurt zusätzlich zu nutzen, alle Komplettgurte für Erwachsene sind aus dem Industriekletterbereich und nicht gepolstert, daher ziemlich unbequem.
Wenn frau bisher regelmäßig klettern gegangen ist und während der Schwangerschaft keine Komplikationen auftreten, gibt es keinen Grund, auf diesen wunderbaren Sport zu verzichten. Ich würde allerdings nicht empfehlen, schwanger neu in ins Klettern einzusteigen. Als Ärztin und Trainerin kann ich meinen Körper und die Belastbarkeit in der Regel sehr gut einschätzen, aber auch die Unterstützung von meiner Gynäkologin und meiner Hebamme, die übrigens selbst bis zur 32. Schwangerschaftswoche klettern ging, haben mich darin bestärkt weiter die Wände hochzugehen, ebenso wie bis kurz vor die Geburt weiter Rad zu fahren. Sollte bei euch eine Risikoschwangerschaft vorliegen, oder ihr Beschwerden haben, sprecht evtl. auch mit eurem*r Gynäkolgen*in/Hebamme. Klettern ist generell ein sehr sicherer Sport. Schwangere sollte dennoch direkte Krafteinwirkung auf den Bauch, sei es durch direkten Anprall bei einem Sturz oder auch beim Sichern und Sturz eines deutlich schwereren Kletterpartners, vermeiden. Generelle Empfehlungen, ab wann ihr nur noch Toprope klettern solltet, gibt es aber nicht. Vertraut auf euer Bauchgefühl😉Die Bewegung beim Klettern unterstützten übrigens sehr gut die stabilisierende Tiefenmuskulatur der Körpermitte, auch wenn sich die grade Bauchmuskulatur „verabschiedet“, hilft das Klettern in der Schwangerschaft Rücken-, Beckenboden- und seitliche Bauchmuskeln weiter zu kräftigen, kann dadurch sogar schwangerschaftstypische Rückenschmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule verhindern.
Bei individuellen Fragen zum schwanger weiter Klettern, schreibt mir gerne eine E-Mail an anne@naturfreunde-berlin.de.
Ankündigung: Elternzeitklettern bei den Naturfreunden ab Februar 2022
Ihr könnt Euch vorstellen, dass auch mit Nachwuchs das Klettern weiterhin ein Teil unseres Familienlebens sein soll. Ich kann es kaum erwarten, wieder vorsteigen und projektieren zu können. Aber bzgl. des Kletterns mit Kind werden sich sicher viele Veränderungen ergeben.
Wir nehmen dieses wunderschöne Ereignis bei uns als Anlass, einen Elternzeit Klettertreff für gemeinsames Klettern und Kinderbetreuung, die sich perspektivisch zu einer Familienklettergruppe weiterwachsen soll für gemeinsames Klettern in der Halle und gemeinsame Fahrten an den Fels.
Wenn Ihr Interesse habt, kontaktiert uns bitte unter klettern@naturfreunde-berlin.de
Elternzeitklettergruppe:
Termine: unter der Woche, vormittags, ab Februar 2022
Ort: Kletterhalle Magic Mountain am Gesundbrunnen
Voraussetzung: Fähigkeit zum Sichern im Toprope (Anfängerkurs)
Kosten: Eintritt Kletterhalle, ggf. Materialausleihe (für Mitglieder steht begrenzt kostenloses Leihmaterial zur Verfügung)