21.08.2018 | Die NaturFreunde haben sich immer auch als Kulturbewegung verstanden. Über die Ausrichtung des Verbandes wurde dabei immer intensiv diskutiert. So war eine der großen Diskussionen bei den NaturFreunden auch die Frage des kulturellen Selbstverständnisses des Verbandes und damit auch der Freizeitgestaltung seiner Mitglieder. Gerade engagierte linke Funktionär*innen stritten innerhalb des Verbandes für eine Hebung des kulturellen Anspruches von klassenbewussten NaturFreunden und lehnten deshalb die seichte Unterhaltung als Freizeitgestaltung ab. Aber auch die Frage des Alkoholgenusses war bei den NaturFreunden in den 20er Jahren ein großer Diskussionspunkt. Viele Ortsgruppen der NaturFreunde sahen sich als Teil der Lebensreformbewegung und lehnten Alkohol und Nikotin ab. Sie sahen im Kampf gegen den Alkohol und der Hebung der „Klassenmoral“ eine wichtige Grundlage für die Durchsetzung einer besseren Gesellschaft.
Hier ein Artikel von NaturFreund D. Jahn aus Holzweißig in der Nähe von Bitterfeld:
„[...] ‚Ihr seid Dornen auf den Wegen der Wanderbewegung.‘ Verschiedentlich wurden mir schon derartige Anklagen von Angehörigen andersgerichteter Wanderbünde ins Gesicht geschleudert. Ich konnte nicht widersprechen. Trotzdem ja wohl auch bei anderen Bünden verschiedene Sachen einer Besserung bedürften, müssen wir dennoch mit einiger Verlegenheit zugeben, dass bei uns als Arbeiterwanderorganisation, die sich der inhaltsschweren Eigenschaft einer Kulturbewegung wohl bewußt sein sollte, Mißstände bestehen, die uns auf die Dauer die Achtung einer Kulturbewegung nicht erhalten können. Denn in keiner Wanderorganisation, die den Kampf um Kulturgüter zu führen bestrebt ist, finden wir noch so viel Unkultur wie gerade bei uns Naturfreunden. Bei jedem Treffen, bei jeder Veranstaltung mußte ich aufs neue feststellen, daß verschiedenen Ortsgruppen manchem Genossen Kulturbewegung fremde Begriffe sind. […]
Verschiedentlich waren Ortsgruppen überhaupt nicht anwesend, da sich ihre Mitglieder, was ich bestimmt behaupten kann, den ‚Modernen Sittenfilm‘ nicht entgehen lassen wollten und demzufolge ins Kino gingen, und viele unserer Genossen sitzen hinterm Ofen und ergößen sich an der Lektüre eines Kriminalromans oder sonstiger Schundliteratur. Ist das ein Kampf um kulturelle Güter? Haben wir ein Anrecht darauf, an anderen Sachen Kritik zu üben, wenn wir uns nicht einmal dazu verhelfen können, die Wurzeln der kleinsten aller Übel bei uns selbst auszurotten? […]
Hier, Genossen, heißt es, sich unserer Aufgabe als Kulturbewegung zu erinnern, tatkräftig zuzugreifen in deren Sinne und gegebenenfalls eine einheitliche Kampfesfront zu bilden mit denen, die ähnliche oder gleiche Ziele verfolgen. Trotzdem wohl die meisten unserer Genossen von der Schädlichkeit des Alkohols und Nikotins überzeugt sind, können sie doch nicht so viel Selbstbeherrschung aufbringen, diesen Giften einen entschiedenen Kampf anzusagen. Auf der einen Seite revolutionär, schlagen sie sich auf der anderen Seite selbst durch den Genuß dieser Rauschgifte ihre Waffen gegen das Kapital aus der Hand. Denn zu den größten Feinden des Proletariats gehört der Alkohol. Gerade in dieser Zeit der großen Not ist es bezeichnend, daß in Deutschland jährlich über 3½ Milliarden Goldmark in Alkohol vertrunken werden. Bei einem Oktoberfeste in München wurde soviel Bier getrunken, daß man gut 2000 Menschen in 400 Häusern in einer Gartenstadt hätte ansiedeln können. […] Darum, Genossen, Kampf dem Alkohol und Nikotin, denn sie führen zur geistigen sowie körperlichen Degenerierung des Menschen, Kampf dem Kino- und Literaturschund, der die Jugend zur geistigen Verwahrlosung bringt. Genossen, führt entschieden diesen Kampf.“
Aus: Am Wege, Nachrichten des Gau Thüringen im T.-V.“DIE NATURFREUNDE“, 5. Jahrgang, Januar, Februar, März 1924, 15 f.
aus: WanderfreundIn 02-2018