17.07.2023 | Ich träume seit 10 Jahren vom eigenen Parklet. Damals kannte ich noch nicht einmal den Begriff "Parklet". Ich wollte statt meinem nicht vorhandenen Auto zwei Liegestühle auf den mir grundgesetzlich zustehenden Parkplatz stellen. Mangels Auto wären das zwei statt fünf Sitzgelegenheiten gewesen, dafür für alle nutzbar.
Meinen Antrag habe ich bis zum Berliner Landgericht durchgefochten - vergeblich. Der größte Hohn dabei ist der Begriff "Gemeingebrauch" im Berliner Straßengesetz, der genau das Gegenteil vom dem verteidigt, was er suggeriert. Offene Sitzgelegenheiten für alle sind verboten, verschlossene Sitzgelegenheiten sind massenhaft erwünscht.
10 Jahre und ein Mobilitätsgesetz später sieht es besser aus. Mein Kiez-Parklet steht jetzt fast ein Jahr. Ruhender Verkehr auf der Fahrbahn endlich auch für Fußgänger! Wow! Dank des Parklet-Programms durfte ich mit einigen Mitstreiter*innen einen der 220 Gratis-Parkplätze in der Kreuzberger Fichtestraße umnutzen. Jetzt sind es nur noch 219. Aus Verkehrswende-Sicht eine Verzweiflungstat, als erweiterter Vorgarten eine feine Sache. Wir waren kreativ und haben das etwas beengte Senkrecht-Parkletmodul in der Mitte halbiert und beidseitig des (nie geahndeten) Parkverbots vor der (nicht genutzten) Hauszufahrt platziert. So wirkt es schön luftig und doch wurde nur ein offizieller Parkplatz geopfert.
Unser Parklet wird rege und begeistert genutzt, von Anwohnenden, Passant*innen, Tourist*innen. Dank des Parklets habe ich alle meine Nachbar*innen kennengelernt. Wir nutzen es bei schönem Wetter als Meeting Raum, Büro, Think Tank, Restaurant, Café, Telefonzelle, Mini-Park. Und manchmal das Verbindungsdeck zwischen den beiden Parklethälften sogar als Sofa für den Mittagsschlaf oder zum Sonnenbaden. Was besonders gut tut: das viele positive Feedback, der Dank insbesondere von Nachbar*innen, die keinen eigenen Balkon haben, die Blüten vor dem Haus und vor allem: ich laufe, wenn ich aus dem Haus komme nicht mehr gegen SUVs, endgelagerte Wohnwagen oder Lieferfahrzeuge, die sich den Firmenparkplatz sparen.
Aber es gibt trotz 95% positivem Feedback auch Unverständnis. Für eingefleischte Autofahrer*innen ist genau ihr freier, eben grundgesetzlich garantierter Parkplatz durch unser Parklet blockiert. Hätte ich mir statt dem Parklet ein Auto besorgt, wäre ihnen vermutlich gar nicht aufgefallen, dass ihr Parkplatz nicht frei ist.
Tim Lehmann, Stadtplaner und Mobilitätsforscher
aus: WanderfreundIn 01-2023