31.08.2020 | Manche Annahmen zum deutschen Kolonialismus halten sich hartnäckig. Deutschland hätte am Wettstreit um Kolonien gar nicht mitwirken wollen und die Kolonien auch schon bald wieder abtreten müssen. Kolonialismus ist ein kurzes Kapitel in der deutschen Geschichte, so klingt es oft an. Dabei war das deutsche Kaiserreich am Anfang des 20. Jahrhunderts die drittgrößte Kolonialmacht der Welt. Menschen im heutigen Kamerun, Togo, Tansania, Ruanda, Burundi, Namibia und Papua-Neuguinea mussten unter der Gewaltherrschaft des deutschen Kolonialregimes leiden. Deutsche Kolonialbeamte sahen sich durch rassistische Ideologie dazu legitimiert, die Menschen in den Kolonien zu unterwerfen, auszubeuten und zu misshandeln. Diese koloniale Gewalt gipfelte im Völkermord an den Herero und Nama in den Jahren 1904 bis 1908 im heutigen Namibia, bei dem 40 000 – 60 000 Herero und 10 000 Nama ermordet wurden. Die deutsche Bundesregierung tut sich bis heute schwer damit, für diesen Genozid und andere Kolonialverbrechen Verantwortung zu übernehmen, was zeigt, dass die deutsche Gedenkkultur einen blinden Fleck hat. Aber das muss nicht so bleiben!
Die Fraktionen der SPD, Linke und Bündnis 90/Die Grünen haben im vergangenen Jahr einen Antrag ins Abgeordnetenhaus Berlin gebracht, in dem ein postkoloniales Erinnerungskonzept vorgestellt wird. Das Konzept beinhaltet Maßnahmen im Bereich Bildung, Museumskultur und stadträumlicher Erinnerung und soll in Partnerschaft mit Vertreter*innen aus den ehemaligen Kolonien und migrantischen Organisationen erarbeitet werden. Ein konkreter Beschluss zu einer Gedenkstätte fehlt jedoch. Das liegt vor allem daran, dass Berlin diese Verantwortung nicht alleine schultern will. Ein Kolonialmahnmal in der Hauptstadt muss auch vom Bund mitgetragen werden. Berlin kann sich aber mit diesem Verweis nicht aus der Verantwortung stehlen. Wir fordern, dass Berlin sich seiner Rolle bewusst wird und in Gesprächen mit dem Bund eine klare Haltung für eine Kolonialgedenkstätte einnimmt!
Die Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus ist auch deshalb so schwierig, weil wir mit seinen Konsequenzen leben. Koloniale Hierarchien, welche Europäer*Innen nach ganz oben setzte und allen anderen Menschen die Menschlichkeit absprach, gibt es bis heute. Freihandelsabkommen und Strukturanpassungsprogramme halten auch nach formaler Unabhängigkeit die ehemaligen Kolonien in Abhängigkeitsverhältnissen zu Europa und dem Westen. Der hohe Lebensstandard in Deutschland geht auf Kosten der ehemals kolonialisierten Welt. Die Menschen die sich aus den ausgebeuteten Regionen auf den Weg machen um in Europa ein besseres Leben zu führen, lässt die EU ertrinken und zeigt damit eindrücklich, dass sich nicht viel verändert hat. Die rassistische Idee, dass manche Menschenleben nichts wert sind, hängt in unseren Köpfen fest und hat tödliche Konsequenzen.
Auch deshalb muss eine Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus historische Verantwortung im Hier und Jetzt umsetzen. Das bedeutet anti-rassistische Arbeit, offene Grenzen und es bedeutet auch, dass wir eine Gedenkstätte brauchen. Berlin braucht einen Raum in der Stadt, der uns daran erinnert, uns mahnt, dass wir in der Verantwortung stehen uns mit der Kolonialvergangenheit auseinanderzusetzen, von der wir bis heute profitieren.
Wir haben unser Anliegen in Senatsbriefen an die demokratischen Fraktionen zum Ausdruck gebracht und einen Beschluss zum Bau eines Mahnmals für die Opfer des deutschen Kolonialismus gefordert. Im Zwischenbericht zu dem oben genannten Antrag, welcher im Juni vorgelegt werden soll, muss die Dringlichkeit einer Gedenkstätte Einklang finden. Des Weiteren haben wir betont, dass die Konzeption dieser Gedenkstätte unbedingt in Zusammenarbeit mit Vertreter*Innen aus den ehemaligen Kolonien und diasporischen Gruppen erarbeiten werden muss. Wir fordern Berlin auf, zu handeln und sind bereit uns unserer historischen Verantwortung zu stellen.
Luise Buchenau