15.06.2017 | Unter dem Thema „Fahrscheinlos durch Berlin – Konzepte der Parteien für einen fahrscheinlosen ÖPNV“ führten die NaturFreunde Berlin eine Diskussionsveranstaltung in ihrem Versammlungsraum in der Landesgeschäftsstelle durch. Uwe Hiksch stellte als Beispiel das Konzepte der ethnischen Hauptstadt Tallinn vor, die in diesem Jahr ihr bereits bestehendes Konzept, dass alle 400 000 Einwohner*innen der Hauptstadt frei fahren dürfen auf die Regionalzüge der Hauptstadt ausgedehnt hat. Auch die US-amerikanische Millionenstadt Seattle hatte mehr als 40 Jahre in der City ein System durchgeführt, mit dem gratis gefahren werden durfte. Seattle war jedoch gezwungen, nach der Finanzkrise 2012 aufgrund eine riesigen Haushaltslücke dieses System einzustellen. In der Stadt versuchen jetzt viele Initiativen das ehemalige Gratissystem für den öffentlichen Verkehr wieder einzuführen.
In Berlin wurden alleine im letzten Jahr 680 000 Feststellungen von Fahren ohne Fahrschein vorgenommen. Die Zahl der kontrollierten Fahrgäste hat sich seit 2013 von 2,7 Millionen Fahrgäste auf 5,2 Millionen fast verdoppelt. Dafür werden zwischenzeitlich etwa 140 Kontrolleure von der BVG beschäftigt. Diese Situation führt in Berlin zu absurden Situationen. So gab es schon Zeiten, als ein Drittel aller Häftlinge der Justizvollzugsanstalt Plötzensee wegen Schwarzfahrens einsitzen mussten. Die Kosten für Gefängnisse summieren sich in Berlin auf einen Betrag von 88,70 Euro pro Hafttag. Alleine in Berlin kosten die Haftplätze für die erwischten Mehrfach-Schwarzfahrer*innen jedes Jahr etwa 13 Millionen Euro.
NaturFreunde setzen sich für ticketfreien ÖPNV ein
Die NaturFreunde Berlin setzen sich seit vielen Jahren für einen ticketfreien ÖPNV ein. Nur wenn es gelingt, eine Neuaufteilung des Straßenraums zugunsten des öffentlichen Nah-, Rad- und Fußverkehrs durchzusetzen, wird es mehr Flächengerechtigkeit in der Stadt geben können. Das Ziel ist, den öffentlichen Raum wieder für die Menschen zurückzuholen. Das setzt unter anderem eine deutliche Verringerung der Autos in der Stadt voraus.
Diesem Ziel sind die NaturFreunde einen ersten Schritt näher gekommen. Es ist auch die Kampagne ticketteilen der NaturFreunde Berlin, die dazu beigetragen hat, dass sich drei Parteien in Berlin in ihrem Wahlprogrammen für die mittel- bis langfristige Einführung eines ticketfreien oder solidarisch finanzierten öffentlichen Verkehr einsetzen.
Berliner Parteien greifen Forderungen der NaturFreunde auf
Die Partei DIE LINKE fordert in ihrem Wahlprogramm, das sie „die solidarische Finanzierung des öffentlichen Personennahverkehrs“ anstreben. Dafür will sie „in den kommenden fünf Jahren verschiedene Finanzierungsmodelle intensiv prüfen sowie mit den Berlinern und Berlinerinnen, dem VBB und den Verkehrsbetrieben ins Gespräch über den Stadtverkehr 30 der Zukunft kommen“.
Die Piraten-Partei fordert, dass „alle Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren, ebenso wie die schon bisher unentgeltlich beförderten Gruppen“ den ÖPNV kostenfrei benutzen können. Nach ihren Berechnungen würde das mehr als 600.000 Berliner*innen eine finanzielle Entlastung bringen. Für Empfänger*innen von Transferleistungen nach ALG II, SGB XII und Asylbewerberleistungsgesetz, von Wohngeldempfänger*innen, Studierenden und Auszubildenden über 18 Jahren würde ein ermäßigter Beitrag von 15 Euro pro Monat erhoben. Die „einkommensstärkeren Berliner*innen profitieren mit einem monatlichen Beitrag von 40 bis 50 Euro – noch immer deutlich unter dem günstigsten Monatsticket – vom ungehinderten Zugang zu einem verbesserten ÖPNV“.
Bündnis 90/Die Grünen wollen die „Idee eines solidarisch finanzierten ÖPNV mit einer „Bärenkarte“ weiter vorantreiben“. Ziel sei ein „solidarisch finanzierte Bürgerticket für alle“, für das ein „umlagebasiertes Finanzierungsmodell“ entwickelt werden soll. Ziel ist, dass „alle Berliner*innen den ÖPNV außerhalb des morgendlichen Berufsverkehrs frei nutzen“ können. Die Zeitkarten sollen dann „ künftig maximal halb so viel kosten wie jetzt“. Auch bei diesem Konzept sind „Minderjährige sowie Transferempfänger*innen, Pflegebedürftige, Schwerbehinderte mit Freifahrerlaubnis und Studierende mit Semesterticket von der Umlage befreit“.
Die NaturFreunde werden auch in der nächsten Legislaturperiode weiter für die Durchsetzung eines ticketfreien öffentlichen Personennahverkehrs kämpfen. Die Forderung nach einen steuerfinanzierten ÖPNV ist noch immer weit von der Realisierung entfernt. Aber wir NaturFreunde haben einen langen Atem.
aus: WanderfreundIn 03-16